Lu Wenyu

* 1967 in Shanghai, China

Architekturstudium in Nanjing, China

Projekte: Wohnbau, Kulturbauten und Bildungseinrichtungen

Zur Person

Gemeinsam mit ihrer Familie wird Lu Wenyu Ende der Sechzigerjahre umgesiedelt – und muss statt in der Großstadt fortan in der dünn besiedelten Westprovinz Xinjiang aufwachsen. Ihre erste große Reise im Alter von 18 Jahren führt sie zurück nach Ostchina, wo sie am Nanjing Institute of Technology Architektur studiert.

Während dieser Zeit lernt sie ihren späteren Mann Wang Shu kennen, mit dem sie 1997 ihr eigenes Architekturbüro gründet: Amateur Architecture Studio. Hinter dem ungewöhnlichen Büronamen verbirgt sich kein Marketing-Gag, sondern eine Haltung der Demut: Als Architekt, als Architektin beginnt man mit jedem neuen Projekt bei Null und muss sich als Amateur erst sorgfältig an die neue Aufgabe herantasten.

Obwohl Lu Wenyu als weibliche Architektin und Firmengründerin in China eine bekannte Ikone ist, wird der renommierte Pritzker-Preis 2012 lediglich an ihren Mann Wang Shu verliehen. Die Auslassung ihres Beitrags steht stellvertretend dafür, wie oft weibliche Architektur- und Stadtplanungsarbeit von den Mächtigen der Branche aktiv versteckt wird. 

Zur Arbeit

Während sich die zeitgenössische chinesische Architektur mehr und mehr einer westlichen  Baukultur annähert, entwickeln Lu Wenyu und Wang Shu eine archaisch anmutende Architektursprache, die sich an lokalen Bauweisen und traditionellem chinesischem Handwerk orientiert.

Im Zentrum stehen Recycling, Baubiologie sowie der Einsatz von Luft, Wasser und grüner Natur. Mit diesem programmatischen Baukultur-Kanon erschafft das Architektenpaar eine Vielzahl von öffentlichen Bauwerken in ganz China, die nicht nur haptisch und geistig ansprechend sind, sondern auch eine ökologische Alternative zur turbokapitalistischen chinesischen Konsumwelt bieten – mit nachwachsenden Rohstoffen, freiräumlichen Qualitäten und in Würdigung des geschichtlichen Erbes.

In den meisten ihrer großflächigen Kultur- und Bildungseinrichtungen verschmelzen Natur und Architektur zu einer untrennbaren Einheit. Manchmal kann man dabei sogar ganze Dachlandschaften erwandern. 

Fuyang Cultural Complex, Hangzhou, China

Eines der größten Projekte von Lu Wenyu und Wang Shu ist der Fuyang Cultural Complex in der Nähe von Hangzhou, der sich in erster Linie der Kunst der Yuan Dynastie (13. und 14. Jahrhundert) widmet. Der 40.000 Quadratmeter große Museumskomplex umfasst ein Museum, eine Galerie sowie ein Kunstarchiv.

Verbunden werden die einzelnen Bauwerke, die zum überwiegenden Teil aus alten, recycelten Ziegelsteinen errichtet wurden, über einen aufregenden Skywalk, der sich wie ein vielfach geschwungener Wanderpfad mit Stiegen und Rampen durch Innenhöfe windet und ganze Dachlandschaften überspannt. Von den höchsten Punkten erhascht man Blicke auf den nahe gelegenen Fluss Fuchun sowie auf die gleichnamige Gebirgskette am Horizont. Mit jedem Schritt mutiert die Architektur selbst zu einer zwar künstlich erschaffenen, aber reizvollen und menschengerechten Ersatznatur.

Den Auftrag zum Bau des Museumskomplexes hat Lu Wenyu mit der Forderung verknüpft, das nahe gelegene Dorf Wencun – anstatt es abzureißen und neu zu bebauen – zu sanieren und zu revitalisieren. Mit Erfolg.