* 1909 in Smila, Russisches Kaiserreich (heutige Ukraine) / † 1977 in Tel Aviv, Israel
Architekturstudium in Israel, Italien und Belgien
Projekte: Wohnbauten, Jugenddörfer, Schulen, Synagogen, öffentlicher Raum
Zur Person
Genia Awerbuch wird im Russischen Kaiserreich geboren und wandert mit ihrer Familie im Alter von zwei Jahren nach Palästina aus. Sie wächst in Tel Aviv auf, studiert Architektur am Technikum in Haifa und setzt ihr Studium schließlich in Rom, Gent und Brüssel fort. Ihre erste Anstellung hat sie bei ihrem späteren Mann Schlomo Ginsburg. Kurz darauf trennt sie sich von ihm und gründet ihr eigenes Architekturbüro.
Im Gegensatz zu Europa sind Frauen in beruflichen Führungspositionen in der zionistischen Kultur keine Seltenheit. Im Alter von nur 25 Jahren nimmt sie 1934 am Wettbewerb zur Gestaltung des Zina-Dizengoff-Platzes in Tel Aviv teil. Ihr siegreicher Entwurf katapultiert sie zu internationaler Bekanntheit und wird zum Vorbild und Symbol einer neuen Sachlichkeit, die dem aufstrebenden Tel Aviv später den Beinamen „Weiße Stadt“ geben wird.
Von 1942 bis 1945 arbeitet Genia Awerbuch kurzzeitig in der technischen Abteilung der Tel Aviver Stadtverwaltung. Dem Beruf als Architektin und Stadtplanerin bleibt sie bis zu ihrem Ruhestand treu.
Zur Arbeit
Das Architekturstudium in Europa, die Internationale Moderne und nicht zuletzt die intensive Auseinandersetzung mit Le Corbusier, Erich Mendelsohn und Frank Lloyd Wright prägen Genia Awerbuchs Handschrift. Ihr minimalistischer Stil aus horizontalen Linien, abgerundeten Ecken und tiefen Balkonschichten, die für Luftdurchzug und Verschattung sorgen, macht sich nicht nur in der Gestaltung des Dizengoff-Platzes bemerkbar.
Die hier entwickelte Architektursprache wird zum Charakteristikum ihrer Wohnhäuser, Bürobauten und Kibbuz-Jugenddörfer sowie der beiden Synagogen, die sie am Ende ihrer Karriere plant. Außerdem baut sie 1940 das Haus der Pionierinnen in Jerusalem, das in der Fachliteratur breit diskutiert wird.
Bemerkenswert ist Genia Awerbuchs Einfluss und Vorbildwirkung auf das spätere Erscheinungsbild Tel Avivs sowie auf den Internationalen Stil der israelischen Moderne – und das, obwohl der Großteil von Awerbuchs Archivmaterial im Laufe der Jahrzehnte verloren gegangen ist.
Zina-Dizengoff-Platz, Tel Aviv, Israel
Mit seinen 66 Metern Durchmesser markiert der Dizengoff-Platz eine Art geografischen und emotionalen Mittelpunkt in der Stadt. Genia Awerbuchs Entwurf, der sich mit hoher Wahrscheinlichkeit an einem niemals realisierten Entwurf für den neuen Alexanderplatz in Berlin orientiert, umfasst nicht nur die Platzgestaltung mit Kreisverkehr, Rasenflächen und Springbrunnen, sondern auch die Masterplanung für die umliegenden Wohn- und Geschäftshäuser.
1978, nur ein Jahr nach Awerbuchs Tod, wird der Platz aufgrund des zunehmenden Autoverkehrs komplett verändert und zu einem komplexen Straßenknoten mit darüber schwebenden Fußgängerstegen umgebaut. Von Anfang an stößt der brutale Umbau in der Bevölkerung auf Widerstand. 2016 beschließt die Stadtverwaltung daher, aus den Fehlern der Automobil-Euphorie zu lernen und den Platz in seinen ursprünglichen Zustand rückzubauen.
Der 2018 wiedereröffnete Dizengoff-Platz ist eines der wenigen Beispiele in der Geschichte des Städtebaus, wo ein bis zur Unkenntlichkeit veränderter und in seiner Idee vollkommen zerstörter Platz wieder in seiner alten Pracht rekonstruiert wurde.